Langer Marsch im Trainingsanzug

Uni-Studenten Annett Böhm und Daniel Clausner bei Olympia dabei / Mentorenprogramm für 20 Sportler

Rektor Franz Häuser verabschiedet Olympioniken der Leipziger Uni
Rektor Franz Häuser verabschiedet die beiden Olympioniken der Leipziger Uni: Daniel Clausner und Annett Böhm hoffen auf eine Medaille in Peking.

Marina Schuck ist enttäuscht. Mit ihrem großen Traum hat es nicht geklappt. Dabei hatte sie sich intensiv vorbereitet, zwei Jahre lang, täglich bis zu sieben Stunden. Am Ende hat ihr eine halbe Kanulänge gefehlt, die Aufregung sei Schuld gewesen. "Im entscheidenden Qualifikationsrennen hat meine Konkurrentin gesiegt", sagt sie leise. Es wären ihre ersten Olympischen Spiele geworden.

Marina Schuck ist 27 und seit sechs Jahren an der Universität Leipzig eingeschrieben. Bald wird sie ihr Studium als Wirtschaftsingenieurin abschließen. "Ich muss jetzt an meine Zukunft denken. Wenn ich Glück habe, finde ich einen Arbeitgeber, der mich halbtags einstellt." Denn das Kanufahren will sie nicht aufgeben.

Schon einmal hat sie sich gegen den Leistungssport und für die Uni entschieden. "Es war einfach nicht zu schaffen. Ich hatte schlechte Noten, weil ich keine Zeit zum Lernen hatte. Darum habe ich für ein Jahr mit dem Sport aufgehört", sagt sie. Heute müsste sie keine Zwangspause mehr einlegen: Seit einem Jahr gibt es an fast allen Fakultäten der Universität Mentoren, die sich um Spitzensportler küm- mern. Die Helfer studieren häufig noch selbst und sind als Hilfskräfte angestellt.

Koordiniert wird das Mentorenprogramm von Jürgen Dietze, dem Spitzensport-Beauftragten der Uni. Er kümmert sich um die sportlichen Hoffnungsträger. "Wir betreuen im Moment 20 Sportler", sagt er. Gemeinsam mit den Fakultä- ten sucht er Lernpartner für die Athleten. Er kennt den Druck, unter dem seine Studenten stehen. "Manchmal können die Sportler Prüfungstermine nicht einhalten. Das kläre ich dann mit den Professoren", erklärt er. Während seiner Studienzeit hat er selbst an zwei Olympischen Spielen als Rückenschwimmer in der DDR Mannschaft teilgenommen.

Auch Daniel Clausner ist ein erfolgreicher Schwimmer. 2004 holte er bei den Paralympischen Spielen in Athen Goldmedaillen über 100 Meter Brust und 200 Meter Lagen sowie eine Bronzemedaille über 50 Meter Freistil. Ende August fährt er nach Peking zu den Paralympics, schon zum dritten Mal. Er trainiert jeden Tag mindestens fünf Stunden, und das seit vier Jahren. "Die Spiele in Peking werden vermutlich meine letzten sein, ich sollte langsam mein Leben planen. Im nächsten Sommer will ich mein Jurastudium beenden."

Um sein Studium an der Uni zu stemmen, lernt er gemeinsam mit seinem Mentor. "Besonders während der anstrengenden Prüfungszeit hilft er mir sehr. Im Team lerne ich besser.

Die Doppelbelastung lässt er sich kaum anmerken, trotz aller Anstrengungen genießt er das Studentenleben. "Die Zeit für eine Party mit Freunden nehme ich mir." Vor den Paralympics herrscht allerdings Ausnahmezustand die Anspannung vor Peking sei mindestens so gro0 wie die vor dem juristischen Staatsexamen.

Annett Böhm fährt auch nach Peking. Vor vier Jahren konnte sie eine Bronzemedaille im Judo erkämpfen. Gewichtsklasse: bis 70 Kilogramm. Sie hat Sportwissenschaft studiert und ist momentan für Wirtschaftsmathematik ein- geschrieben: "Die Professoren haben verständnisvoll reagiert und mir erlaubt, etliche Prü- fungstermine zu verschieben", erinnert sie sich. Die 28-Jährige hat sich mit dem Stress arrangiert. Hochleistungssportler, die studieren, haben oft eine 70-Stunden-Woche. Nach ihrer Sportkarriere möchte Annett Böhm als Journalistin arbeiten: "Ich bereue den Leistungssport nicht, aber ich habe zu wenig Berufserfahrung gesammelt", klagt sie.

Die Kanutin Marina Schuck hat für den Sport auch auf vieles verzichtet. Sie konnte kein Auslandssemester einlegen, hat weniger Praktika als ihre Kommilitonen absolviert und liegt schon zwei Semester über der Regelstudien- zeit. Sie will nun anfangen, Geld zu verdienen: "Von den zweihundert Euro im Monat, die ich von der Sporthilfe bekomme, kann ich nicht leben. Und Preisgelder gibt es nur bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen." Für einen Studentenjob bleibt bei sieben Stunden Training am Tag keine Zeit. Vielleicht hat sie sich ja darum ein so sportfremdes Thema für ihre Diplomarbeit ausgesucht: "Energiesparen an Fabrikgebäuden".

Sarah Thust

Quelle: "Behindertensport in Sachsen", August 2008

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